Diesen Text über meiner Geschichte, Yoga & Trauma habe ich schon vor einer ganzen Weile geschrieben. Ich habe mich zurückgehalten mit der Veröffentlichung von diesen Worten.

Denn zum einen ist meine Geschichte und was in mir drin abgelaufen ist während dieser Zeit etwas ganz intimes, obwohl ich ja ganz offen nach aussen über mein Unfall spreche. Ein Text den ich verfasst habe fühlt sich mehr nach einem Tagebucheintrag an, etwas was ich nicht mit der Öffentlichkeit teilen möchte. Ein Interview hingegen wie ein Gespräch mit einer Freundin.
Und zum anderen habe ich mich eine Weile von meinem Unfall distanziert, ihn ein grosses Stück weit weg von mir schieben wollen. Denn ich möchte mich nicht (mehr) über mein Unfall definieren. Es ist ein Ereignis, das zu meiner Lebensgeschichte dazugehört und mich sehr geprägt hat. Ich muss mich aber nicht mein Leben lang in meinem Schmerz verstecken.

Der Unfall hat mich geprägt, er definiert mich aber nicht
Obwohl mich mein Unfall und die Folgen daraus mich sehr geprägt haben, bin ich darüber hinausgewachsen. Ich war ein Unfallopfer, bleibe aber nicht ein Lebenlang ein Opfer von diesem Unfall. Ich habe mich weiterentwickelt: Mein Angebot dreht sich aktuell nicht um Yoga und Trauma sondern rund um die Anatomie und ich geniesse die Zeit mit meiner Familie. So bringe ich mein Wissen aus der Physiotherapie und der Anatomie in die Yogawelt.
Die Dankbarkeit, die ich empfinde, noch am Leben sein zu dürfen nährt mich in meiner Rolle als Mama und gibt mir die Freue, die Faszination über unseren Körper weitergeben zu dürfen.
Yoga & Trauma Kongress
Ein treibender Grund, warum ich jetzt doch diesen Text veröffentliche ist: Ich darf als Expertin an einem Yogakongress dabei sein. Es geht um Yoga & Trauma. Ich habe bereits letztes Jahr – hochschwanger mit unserer Tochter – einen Beitrag teilen dürfen. Ich habe mein Heilungsweg anhand vom 8 gliedrigen Yogapfad reflektiert. Und da habe ich auch bereits diesen Text als Basis gebraucht.
Dieses Jahr wird der Beitrag wieder ausgestsrahlt. Schau gerne vorbei, wenn dich Yoga & Trauma interessiert: Der Yogakongress
Ein Unfall mit grosser Veränderung: im Äusseren wie auch im Inneren
Hier ist also mein Text über mein Unfall und mein Heilungsweg:
Ich habe im Sommer 2017 im Alter von 24 Jahren einen schweren Fahrrad-Unfall erlitten. Dabei habe ich mir multiple Gesichtsverletzungen zugezogen. Heute erinnert mich meine Fazialisparese sowie meine grosse Narbe, welche meine ganze linke Gesichtshälfte durchzieht an diesem Tag – es war ein Tag, der mich nicht nur optisch verändert hat.
Dieser Schicksalsschlag und der ganze Prozess, der danach folgte, haben mich vor Allem in Inneren enorm transformiert. Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe und mein Auge & mein Gehirn unversehrt blieben! Ich hätte tot sein können! Nun habe ich «nur» ästhetische Makel im Gesicht. Es hat jedoch sehr lange gedauert, bis ich mein neues Aussehen mit Fazialisparese und Narbe annehmen konnte und noch länger bis ich mich wieder selbst lieben und vollkommen akzeptieren konnte.
Heute bin ich als Physiotherapeutin und Yogalehrerin in Zürich tätig. Ich habe es mir zur Herzensaufgabe gemacht, andere Menschen zu inspirieren, trotz schweren Zeiten die beste Version von sich Selbst zu leben. Ich möchte dir gerne erzählen, welche Schritte mir auf meinem Weg geholfen haben, mich wieder zu akzeptieren und in die Selbstliebe gefunden habe.
Nach dem Schock kam die Trauer

Der erste Blick in den Spiegel war direkt nach der Operation. Ich betrachtete die Nähte in meinem Gesicht: von der Stirn, über mein Auge und über meine ganze linke Backe hinunter. Ich erkannte mich kaum, doch meine Reaktion war: «So sehe ich jetzt halt aus». Meine Gelassenheit kam zu diesem Zeitpunkt wohl von meinem Schock, doch die erste Portion Akzeptanz war da auch schon mit dabei.
Danach folgten schlimme Tage im Spital. Ich konnte mich kaum bewegen, weil ich dermassen erschlagen war von der Hirnerschütterung, dem Blutverlust und der OP – bereits die kleinsten Kopfbewegungen waren anstrengend. Ich konnte in den ersten Nächten kaum schlafen. Jedes Mal, als ich meine Augen schloss sah ich die Szene kurz vor dem Aufprall. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass alles rückgängig gemacht werden könnte! Ich habe mir Vorwürfe gemacht und wollte das alles gar nicht so haben, wie es war. Ich fand mich hässlich und ich musste weinen vom Anblick im Spiegel. Hach, wie viele Tränen ich vergossen habe!
Ich habe dieser schlechten Zeit richtig viel Raum gegeben. Rückblickend war das so wichtig, diese Negativität, Trauer, Wut und Selbstvorwürfe in vollen Zügen auszuleben. Denn sowohl die schweren Zeiten, wie auch die schönen Zeiten gehören dazu – das Leben ist immer im Fluss. Verdrängen klappt etwa so gut, wie wenn man einen Bach aufhalten will – irgendwann sickert das Wasser durch, oder der ganze Damm bricht ein.
Verständnis, Akzeptanz & Vergebung
Noch während meiner Zeit der Trauer habe ich langsam angefangen zu verstehen: Was ist eigentlich passiert? Welche Verletzungen habe ich? Was wurde operiert? Was heisst das nun? Wie ist die Prognose? Ich habe meine Ärzte ausgefragt und wollte alles ganz genau wissen. Später habe ich auch meine Unterlagen vom Physio-Studium wieder studiert und im Internet nach Informationen gesucht – die Suche war eher frustran. Eine traumatische Fazialisparese ist eher selten und noch seltener gibt es Menschen, die ihre Erfahrung darüber teilen. Ich habe in dieser Zeit sehr vieles über das Gesicht, die Heilung von Nerven und dem Umgang mit einer Fazialisparese gelernt. Das Wissen hat mir ein wenig Halt gegeben.
Den Unfallhergang und meine Verletzungen sowie Symptome hatte ich ziemlich schnell verstanden. Nun ging es ums Akzeptieren. Auf der einen Seite fand ich alles unglaublich spannend – ich konnte so vieles, was ich nir aus der Theorie kannte selber erleben. Auf der anderen Seite war es auch einfach nur hart. Es waren meine eigenen Knochen und meine eigenen Nerven, die verletzt waren – mein eigenes Gesicht war entstellt!
Auf meinem Weg hatte ich grossartige Ärzte & ein liebevolles Pflegeteam, auch meine Freunde und Familie haben mir wunderbare Unterstützung gegeben. Ich habe bereits im Spital wieder von Herzen lachen können und unbeschwerte Momente verbringen, aber auch gute Gespräche führen dürfen. Es hat mir so sehr geholfen, als «normal» angesehen zu werden. Die meisten Menschen in meinem Umfeld haben mein neues Aussehen sehr schnell akzeptiert und waren einfach nur froh, mich noch lebendig haben zu dürfen.
Meine eigene Akzeptanz
Die Akzeptanz von meiner Seite her hat einiges länger gedauert. Ich war froh, mich selber nicht ständig sehen zu müssen. Mein eigener Blick in den Spiegel wurde jedoch von Tag zu Tag liebevoller – ich habe mich angefangen zu analysieren und mir mit einem tiefen Blick in die Augen schöne Affirmationen zuzusprechen wie «Ich habe ein wunderschönes Strahlen in den Augen» oder mir einfach selbst zu zulächeln oder zu zwinkern – so gut das halt zu Beginn ging 😉 Ich habe auch regelmässig Selfies von mir gemacht, um einen Verlauf zu sehen. Aber Fotos von mir nach aussen zeigen oder auf Social Media posten, das wollte ich lange nicht. Ich habe mich für mein Aussehen geschämt. Später hat mir die Konfrontation mit meinem Aussehen und meiner Geschichte enorm geholfen, mein innerer Schmerz aufzuarbeiten.
Mein anfängliches «So sehe ich jetzt halt aus» ging in ein «Es ist wie es ist, und es wird, was du daraus machst» über. Dieses Sprichwort und auch meine Yogalehrer-Ausbildung, von der ich später mehr erzählen werde, haben mich sehr inspiriert und auf meinem Weg unterstützt. Diese Einstellung hat mir geholfen, mich in den Jetzigen Moment zu bringen und in die Akzeptanz zu kommen. Im Jetzt leben und von Vergangenem loslassen hat mir auch geholfen, meine Schuldgefühle an mir selbst fallen zu lassen und mir zu vergeben. Diese Einstellung lässt mich mit einem Blick in die Zukunft schauen, in der ich wirklich selber entscheiden kann, mit meinen bewusst gewählten Gedanken, wie die Zukunft wird, oder zumindest, wie ich darauf reagiere.
Ziele vor Augen und ganz viel Reflexion
Neben der grossartigen medizinischen Versorgung, unbeschwerten Zeiten und tiefgründigen Gesprächen mit Freunden & Familie, und die Akzeptanz von dem was war – hat mir ein weiterer Begleiter sehr geholfen: Mein Tagebuch. Ich habe all meine Ängste, Alpträume, Sorgen, und mein Klammern an Vergangenem, an all dem, was nicht mehr ist, zu Papier bringen können. So habe ich einen Ort gehabt, an dem ich alles ablegen konnte. Ich habe mich reflektiert und Teile meines Selbst erforscht, die noch völlig unentdeckt waren. Im Schreibprozess, habe ich mich von Vergangenem lösen können, mir für den Unfall vergeben können, die aktuelle Situation – mit meinem neuen Aussehen, meiner Narbe im Gesicht und meiner veränderten Mimik – annehmen können und wieder mit Freude in die Zukunft blicken können. Ich habe meine Träume und Visionen ausformuliert und mich motiviert, immer weiter zu gehen und niemals aufzugeben.
Aus all diesen Gedanken habe ich dann ganz klare Ziele formuliert. Zu Beginn waren es: Gesund werden und meine Ausbildung als Physiotherapeutin abschliessen. Ich habe den Fokus vollkommen auf diese beiden Ziele gesetzt. Alles, was ich gemacht habe, hat mich diesen beiden Zielen nähergebracht. Alles, was mich davon abhielt, habe ich gemieden. Da meine Energie sehr tief war, war ich gezwungen, sie weise einzuteilen und den Fokus richtig zu setzen.
Ich habe aus diesem Grund Menschen aus meinem Leben verabschiedet, die mir nicht guttaten – dafür bin ich Menschen begegnet, die mein Leben bis heute bereichern. Ich habe regelmässig trainiert und meine Aktivitäten in meiner Sport-App dokumentiert sowie mit motivierenden Quotes versehen. So hiess zum Beispiel meine erste Aktivität von 500m «Back on Track». Ausserdem bin ich dem Bedürfnis nachgegangen, sehr viel Zeit mit mir alleine zu verbringen und habe den Blick nach «Innen» gerichtet. Die Prioritäten lagen also bei meiner Gesundheit, meiner Ausbildung und mir Selbst.
Yoga wurde zu einer wichtigen Stütze
Diese Reise nach Innen liess mich realisieren, dass die einzige Person die mir auf meinem Weg wirklich helfen kann, ich Selbst bin. Das hat mich näher zum Yoga gebracht. Ein halbes Jahr nach meinem Unfall habe ich die Ausbildung zur Yogalehrerin gemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass Yoga mein Trauma in diesen Ausmass beeinflussen könnte. Die Yogaphilosophie hat mir noch mehr geholfen, mich selbst und das Leben zu verstehen. Die Asana Praxis und die Atemübungen haben meinen Heilungsverlauf unterstützt und die Schwellung in meinem Gesicht ging durch gezielte Yogasequenzen zurück.
Das Yoga hat mir gelehrt, die Gegenwart wahrzunehmen – ohne Wertung, einfach nur beobachten. Vergangenes Loslassen und mit bewussten Gedanken meine eigene Zukunft erschaffen. Ich habe auch gelernt, mir Selber und der ganzen Welt mit Liebe zu begegnen. Vor Allem muss ich zunächst schauen, dass ich mir selber genügend Liebe gebe, bevor ich anderen meine Liebe schenken kann. Das ist nicht egoistisch, sondern Selbstfürsorge, ganz nach dem Motto «You can’t stir from an empty cup» (Du kannst nicht aus einer leeren Tasse schöpfen).
Die Yogaphilosophie spricht von den verschiedenen Schichten des Seins. Unser Aussehen und Körper sind nur ein Teil davon. Im tiefen Kern sind wir alle pure Liebe. Das hat mir sehr geholfen, mein Körper und mein Gesicht weniger wichtig zu nehmen. Ich habe so viele Qualitäten von meinem Sein, die trotz Allem erstrahlen dürfen!
Ich habe Vertrauen gewonnen – dass ich auf den richtigen Weg bin, dass alles einen Sinn hat und mich alle Erfahrungen in meinem Leben weiterbringen. Häufig wird der Sinn hingegen erst in Nachhinein erkannt.
Die Macht unserer Gedanken
Vieles können wir selber nicht direkt beeinflussen. Unsere Gedanken jedoch schon. Wir können unseren Fokus bewusst lenken und wählen, welche Gedanken wir denken. Das braucht Übung, ist aber unglaublich kraftvoll!
Ich wähle ganz bewusst
- mein Aussehen vollkommen zu akzeptieren und volle Verantwortung über mein Leben und mein Wohlergehen zu übernehmen
- glücklich zu sein und mich mit Positivem zu umgeben
- mich Selbst zu lieben und zu akzeptieren, genau wie ich bin
- mein Inneres zu erforschen und von dort aus zu erstrahlen
- vollkommen zu leben und andere mit meiner Geschichte zu inspirieren

Selbstliebe ist ein Prozess
Meine Narbe und meine Fazialis-Parese werden mich nie mehr so lachen lassen wie früher. Es sind nicht mehr meine Lachfalten, meine Lippen, oder meine strahlenden Zähne, die mein Lachen ausmachen. Mein Lachen kommt von Herzen – das Strahlen kommt aus der Tiefe meines Herzens!
Ich habe mich sehr verändert, und die Veränderung geht weiter. Das ist ein fortlaufender Prozess. Auch noch heute gibt es Höhen & Tiefen. Es gibt Tage, Situationen und Lebensumstände die nicht die Schönsten sind, aber auch sie gehören dazu. Es kommt beispielsweise vor, dass ich einige Tränen vergiesse oder einfach enttäuscht bin von einem Foto von mir, weil meine Emotionen nicht so an meine Mimik ankommen wie ich es gerne hätte. Und das darf auch sein, ich erlaube mir dann auch, traurig zu sein.
Jeder Tag und jede Erfahrung, auch mein Unfall, gehören alle zu meinem Leben und führen mich schlussendlich zu dem, was ich sein will. Ich habe realisiert, was für ein Geschenk es ist, dass ich noch am Leben sein darf! Und das Leben hat so viele schönen Sachen zu bieten! Es liegt an mir, diese schönen Seiten des Lebens zu entdecken. Lebensfreude und Selbstliebe strahlen aus mir heraus. Ich bin so dankbar, dass ich am Leben sein darf und für alles, was das Leben mit sich bringt!
Ich habe es mir zur Herzensaufgabe gemacht, andere Menschen mit meiner Geschichte und meinem Sein zu inspirieren, trotz schwerem Schicksal ihren Weg weiter zu gehen und die beste Version von sich Selbst zu leben.
Sag auch du JA! zur besten Version von dir Selbst!
Lies hier noch mehr über meine Geschichte und schau gerne auch das Video-Portrait auf Rätoromanisch mit mir an.

Yoga & Trauma Kongress
Ich habe ja schon weiter oben erwähnt, dass ich als Referentin am Yoga & Trauma Kongress dabei sein darf. Wenn dich die Thematik Yoga & Trauma interessiert, dann melde dich gerne an. Ein grosser Teil ist kostenlos und für einen kleinen Beitrag bekommst du unlimitierten Zugriff auf alle Inhalte. Du kannst auch im Nachhinein den Zugang zu den Aufzeichnungen kaufen.

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Ein passendes Lied zum Text
Und zum Schluss, weil es einfach so gut passt: Ich habe in diesem Lied von Jason Mraz “3 Things” so sehr mich selbst und mein Heilungsweg wiedererkannt, hör gerne rein: